Das Zyprische Kleid
Inzwischen, gerade jetzt passierts, hat scheinbar nur ein kleiner Run auf die
Bankfilialen eingesetzt auf unserer, trotz allem, liebenswerten Insel –
Zypern. Das Drama – zyprische Bankenkrise, eventueller Staatsbankrott –
hat ganz offensichtlich einen ausgedehnten Höhepunkt. Es könnte
andernorts in Europa und dem Rest der Welt der Eindruck entstanden
sein, dass es auf Zypern keine andere Alltagsbeschäftigung mehr gäbe, als
dieses Thema, doch dem ist erfreulicherweise nicht so.
Ich, neu an Bord bei Zypernundmehr-News, war vor kurzem zu einer
Buchbesprechung eingeladen gewesen. Mit einer nicht zu
verheimlichenden Skepsis begab ich mich dort hin. Letztere hatte mich
beschlichen, als der Titel des Werkes bis zu meinem Bewusstsein
durchgedrungen war. Das kann gelegentlich dauern, bis dort etwas
wirklich ankommt. Und dann sah ich noch, welche Persönlichkeiten zur
Verbreitung dieses Buches sich in Stellung gebracht hatten im Vorfeld der
Veranstaltung, was die dumpfen Vorahnungen unwillkürlich etwas
verstärkte.
Um eine lange Rede kurz zu halten: Der Rotary Club namens Nikosia-
Aspelia aus dem griechischsprachigen Teil der Insel hatte in Kooperation
mit dem Rotary Club Nikosia-Sarayönü (vom türkischen Inselteil) zu zuvor
genanntem Zweck in ein Nobel-Restaurant geladen, welches in der UNO-
Pufferzone liegt, dem „Chateau Status“. Nach dem Motto, mögen Sie hier
eventuell denken: ‚Wir lassen uns der Krise wegen nicht unterbringen!‘
Inwieweit Einladungen dieser Natur in solchen recht teueren
Establisments in einer angespannten sozio-politischen und ökonomischen
Lage sinnvoll sind, darüber mag ich mich hier nicht auslassen. Doch, es
soll Personen geben, die so etwas als sichtbarstes Zeichen einer
kursierenden Ignoranz der hiesigen Oberschicht und deren abgehobene
Geistesverfassung par excellance bezeichnen.
Das Buch mit dem Titel „Turkish Cypriot Dress – The Aziz Damdelen
Collection“, war im Jahr 2012 von Prof. Euphrosyne Rizopoulou-
Egoumenidou, die an der University of Cyprus Volkskunst und Architektur
lehrt, und von Aziz Damdelen herausgebracht worden. Frau Prof.
Rizopoulou-Egoumendidou wurde bei der Präsentation von ihrem
Kollegen Prof. Matthias Kappler assistiert. Die Fotos im Buch hat Kadir
Kaba geschossen. Das Bildungs- und Kulturministerium der Republik
Zypern hat finanziell Unterstützung geleistet. Das Vorwort stammt aus der
Feder des damaligen Ministers für kulturelle Angelegenheiten.
Das Buch in seinen Ausmaßen und Aufmachung würde ich als „Coffee
Table Book“ bezeichnen wollen. Wirklich elegant gebunden und auf
Hochglanzpapier gedruckt, macht es wirklich Eindruck äußerlich. Inhaltlich
scheint es durchaus mit hervorragenden Texten und Beschreibungen der
vielen, alten Fotos der Stoffe und Gewänder im Besitz der Damdelen
Kollektion aufzuwarten. Einige Mitglieder der Damdelen-Familie waren
sogar anwesend bei der Präsentation. Der Fotograf ebenso. Mehrheitlich
waren Rotarier zugegen, die aus dem Norden der Insel stammen –
ungefahr 70 Personen waren es insgesamt.
Ein Höhepunkt darf die Präsentation von Dr. Rita Severis, Kunsthistorikerin
und Geschäftsführende Direktorin der „Costas und Rita Severis
Foundation“, genannt werden. Die Stiftung, in der sie vorrangig aktiv ist,
hat sich zum Ziel gesetzt, zyprische Kultur zu verbreiten und den Frieden
auf der Insel einzufordern.
Anhand der gutbestückten Damdelen Kollektion erklärte sie in einer
Diapositiv-Schau die gesellschaftliche Funktion der Stoffe und Gewänder
im Alltag und bei Festlichkeiten, wobei sie geschickt die der turkisch-
zypriotischen Gemeinschaft, denen der Griechisch-Zyprioten
gegenüberstellte. Sie griff dazu in der Zeit bis auf 200 Jahre zurück.
Interessant war mitzuerleben, wie sich die Kleidung stetig dem Zeitgeist
anpasste und von der westlichen Kultur beeinflusst worden war – ein
wirklich reiches kulturelles Erbe.
Beeindruckend fand ich, dass die Vortragende die gemeinsame Kultur der
Zyprioten, auf die eigentlich immer noch zurückgegriffen werden könnte,
überzeugend als Schlichter im schwelenden Streit, den es seit 1964 gibt,
zwischen Süd und Nord ausmachte.
Insofern, schien mir, war mal wieder ein Anfang in diese Richtung gesetzt
worden, diesmal eben durch die beiden Rotary Clubs, dem Aspelia und
dem Sarayönü.
Meinen Mitbürgern auf Zypern mag ich für den heutigen und die
folgenden Tage wünschen, dass das Öffnen der Banken zu keinen
Tumulten führt, und dass jeder sein Osterfest, welches bei den
Orthodoxen dieses Jahr auf Anfang Mai fällt, zur allgemeinen
Zufriedenheit ausrichten wird können – auch wenn 300€ am Tag lediglich
abgehoben werden können derzeit, was der einen oder dem anderen
gewiss bitter aufstoßen dürfte.
Dafür blüht aber der Frühling unübersehbar in der Natur. Das Wasser des
Meeres erwärmt sich merklich und in jeder Krise liegt bekanntlich auch
eine Chance, zum Beispiel ihre, liebe Leser, sollten Sie nicht bereits auf
Zypern leben, einen Ausflug hier her zu planen, wo die einstigen hohen
Preise sozusagen zwangsläufig fallen werden und die Bedienungen und
der Service, ebenfalls wieder zwangsläufig, nur noch freundlicher und
aufmerksamer sie in Empfang nehmen werden – als jemals zuvor
eventuell.
Bleibt noch zu wünschen, dass das einigermaßen kulturell reiche Leben
auf Zypern nicht zum erliegen kommt, sondern auch hier die Chance
genutzt wird – auf der Suche nach neuen „Geschäftsmodellen“.
Die Türkei nähert sich der israelischen Regierung gerade wieder an – oder
umgekehrt – und viele Israelis sitzen angeblich bereits auf gemachten
Koffern, um nicht etwa nach Zypern, sondern nach Antalya in der Türkei zu
fliegen, wo sie 3 Jahre mit Abwesenheit aus politischen Gründen glänzten.
Insofern ist einer der Hauptkonkurrenten auf dem touristischen Markt der
Republik Zypern benannt, die Türkei, die ihr Monopol im südöstlichen
Mittelmeer bis nach Nordzypern bislang, aus ökonomischer Sicht,
erfolgreich ausbaut.
Wie zu lesen ist, scheinen die Griechen langsam aber sicher einzusehen,
dass Kooperation mit Ankara durchaus eine Win-Win-Situation
ökonomisch darstellen dürfte.
Zuletzt: Dass Kroatien demnächst der EU beitreten wird, wird die Türkei
gewiss nicht mehr wie einst verärgern, sondern das Land darin bestärken,
jetzt erst recht in südlich vom Mittelmeer gelegenen Staaten, auch
kulturell, alte Beziehungsstränge (wieder) zu beleben.
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